Sneakers aus dem Cyberspace
Nicht Palo Alto, sondern Hanauer Landstraße: Feels like Hessen hat das hochinnovative Frankfurter Startup Creaition getroffen. Die vier Jungs haben sich nicht weniger vorgenommen, als den Designprozess zu revolutionieren: Autofronten, Flaschen, Schuhe und Kleider werden mithilfe von neuronalen Netzen konzipiert. Wie man künstlicher Intelligenz das Gestalten von Produkten lehrt und was das für die menschliche Kreativität bedeutet. Ein Interview mit dem Gründer Marco Limm.
Text: Jonathan Kralik
Marco, bevor du dich auf KI spezialisiert hast, hast du unter anderem Autofronten in Detroit designt. Das ist ein ganz schöner Ausfallschritt, wie kam es zu dem Werdegang?
Die Inspiration kam aus dem Arbeitsprozess selbst. Stell dir das so vor, du kriegst eine Aufgabe, zum Beispiel: “Designe das neue Auto für 2025”. Du beginnst mit der Research-Phase. Du siehst nach, was es auf dem Markt gibt, welche Technologien und Materialien gerade verwendet werden, wohin die Trends gehen. Dann fängt die sogenannte Ideation-Phase an. Es beginnt immer mit einer Tabula Rasa und ein paar Kritzeleien. Bei uns war das teilweise wirklich heftig: ganze Wände, Räume voller Sketches. 100 Sketches pro Woche zu produzieren war für uns recht normal. Dann kommt dein Designchef vorbei, sucht sich zwei davon raus und die 98 restlichen schmeißt du in die Mülltonne. Es ist ein stark iterativer Prozess, der sich gerade noch sehr verschwenderisch gestaltet. Hier wollten wir ansetzen.
Was ist das langfristige Ziel von eurem Projekt?
Ich arbeite jetzt seit vier Jahren an diesem Projekt, natürlich hat sich in dieser Zeit einiges gewandelt. Wir wollen dem Menschen etwas an die Hand geben, um seine Kreativität besser nutzen zu können. So schaffen wir einen digitalen “Playground”, eine Muse, die im Designprozess unterstützt und so die Stärken von Mensch und KI zusammenführt.
Da atmen bestimmt gerade einige Designer auf, dass ihr sie nicht ersetzen wollt!
Wir wollen sie lieber “enablen”, denn unser Ansatz soll Arbeit abnehmen und Zeit freischaufeln, damit man sich auf die Kernaspekte des Designs konzentrieren kann. Anstatt mit einem Tabula Rasa anzufangen, schlägt die KI verschiedene Startpunkte vor. Die Deadlines bei Designprozessen sind oft eng geschnitten, und da hilft jede Sekunde, die man nicht in 100-Seiten-Sketches investieren muss. Wir glauben, dass dadurch bessere Produkte entstehen.
Wie kann ich mir das in der Praxis vorstellen?
Wir wollen eine Website ähnlich wie Pinterest. Dort speist man seine Parameter ein und die Website generiert dann eigenständig Vorschläge. Daraus sucht man sich seine Favoriten, und die KI passt zukünftige Designs diesen Vorlieben an. Wir nennen das den Alice-im-Wunderland-Effekt. Du kommst immer tiefer in den Kaninchenbau, solange bis du dein Design gefunden hast. Wenn man sich kontemporäres Design ansieht, egal ob Mode- oder Produktdesign, wird es tendenzieller immer "gleicher". Dafür gibt es viele Ursachen, sicherlich spielt Social Media eine große Rolle. Wenn wir alle ähnliche Pinterest-Inspiration-Boards haben, also am selben Startpunkt anfangen, wie sollen dann innovative Designs entstehen? Dem wollten wir etwas entgegensetzen.
Was zur Hölle ist “Flaschen-Tinder” und was hat es mit KI zu tun?
(Lacht). Das ist ein älteres Projekt von uns. Man bekommt verschiedene Flaschendesigns vorgeschlagen, die man dann wie bei Tinder mit einem Swipe nach links oder rechts bewerten kann. Jede Bewertung hinterlässt einen Abdruck, so entwickelt sich über lange Zeit hinweg ein Geschmack bei der KI. Das ist quasi ein Weg, das KI-Modell zu trainieren.
Ihr wollt etwas schaffen, was innovative Designs produziert und mit den etablierten Konventionen bricht. Andererseits füttert ihr eure KI aber nur mit schon bestehenden Designs, mit schon etablierten Trends. Wie kann aus etwas Altbekanntem etwas radikal Neues entstehen?
Für mich ist alles Neue schlicht eine Kombination aus Bekanntem auf unbekannte Weise. Wichtig ist nicht, bei null anzufangen, sondern eine Kombination anzustreben, die es bis dato noch nie gab.
Eine KI wie eure steht und fällt mit den Datensätzen, mit denen sie gefüttert wird. Daten sind aber immer auch ein Produkt unserer realen Welt, und damit vorbelastet. Wir haben gesehen, dass die Chatbot-KI Microsoft Tay nach wenigen Stunden “Training” antisemitische Parolen getweetet hat, oder dass einige Versuche des “AI-based policing” in der Polizeiarbeit zu nachweislich rassistischen Mustern geführt haben. Jetzt sind eure Sneaker-Designs sicher nicht rassistisch, aber sind eure Datensätze nicht auch “biased”? Kann eine KI einem eurozentrischen Design entgegenwirken?
Eine KI ist ganz runtergebrochen nur eine sehr gute Mustererkennung. Sie setzt ein Muster, was sie erkannt hat, einfach in die Zukunft fort. Die KI an sich kann also nicht rassistisch sein. Datensätze hingegen können schon vorbelastet sein – genauso wie Menschen, die Daten sammeln. Wir versuchen dem entgegenzusteuern und geben uns viel Mühe, alle Datensätze händisch zu prüfen. Insofern spielt der Mensch immer noch eine große Rolle. Also ja: es gibt eurozentrische Datensätze und Designs, und genau das wollen wir vermeiden. Deswegen planen wir, die Website offen zu gestalten, sodass Menschen aus der ganzen Welt beitragen können.
Was dient euch denn konkret als Datensatz?
Das fängt ganz handfest an: Wir kopieren teilweise ganze Bücher über Design und trainieren die KI damit. Viele unserer Daten sind eigentlich analog, wir scannen sie dann ein. Natürlich beschränken wir uns nicht auf Bücher, und greifen auch auf digitale Datenbanken zurück. Insgesamt braucht man nämlich mindestens Datensätze im vierstelligen Bereich, besser noch im fünfstelligen. Umso mehr, umso besser.
Auf eurem Instagram sieht man Bilder von futuristischen Sneakern, Kleidern, Mänteln. Ist die KI, die Mode designt, eine andere als die, mit der ihr vor einigen Jahren Flaschen designed habt? Und hat sie einen Namen?
(Lacht). Einen Namen hat sie noch nicht, vielleicht sollten wir uns da mal ran setzen. Wir als Menschen neigen einfach dazu, alles zu vermenschlichen: Haustiere wie Computer. Trotzdem kann man sagen, dass dies zwei unterschiedliche KIs sind, und dass die KI, die wir nun seit Jahren auf Modedesign trainieren, irgendwie “die Gleiche” ist. Wir sind ja auch nicht plötzlich ein anderer Mensch, wenn wir morgens aufwachen. Um genau zu sein, gibt es sogar eine verschiedene KI jeweils für Kleider, Schuhe, und so weiter, so wie es auch verschiedene Bereiche von Design und Ingenieurskunst gibt.
cre[ai]tion ist eine vierköpfige Crew. Wie habt Ihr Euch kennengelernt?
cre[ai]tion ist Teil des Inkubationsprogrammes “AI Ventures” von statworx in Frankfurt. statworx unterstützt hier KI-Startups von der Ideenphase bis zur technischen Umsetzung ihrer Lösungen und darüber hinaus. Unsere Crew besteht aus André, einem erfahrenen Data Scientist und Head of AI Ventures bei statworx, sowie Alex, unserem Deep Learning Engineer. Gemeinsam bilden die beiden das technische Rückgrat von cre[ai]tion. Tobi ist als Venture Architect für alle Business-bezogenen Themen zuständig. Ich als Designer gebe die Zielrichtung für das Produkt vor und bin in engen Austausch mit unserer Zielgruppe, damit wir ein Produkt erschaffen, welches sich genau an den Bedürfnissen der zukünftigen Nutzer orientiert.
Machine Learning, neuronale Netzwerke, Algorithmen und KI – man kann sich schnell im Wald der Buzzwords verlieren. Welche Technologie benutzt ihr für eure KI, und wie erklärt man das einem Laien?
KI kann man als den Dachbegriff sehen, der alles beinhaltet. Das Machine-Learning wäre dann zum Beispiel eine konkrete Anwendungsweise von KI. Unsere KI basiert auf dem Deep-Learning, das ist wiederum eine Form von Machine-Learning. Unser Deep-Learning-Prozess basiert auf neuronalen Netzen. Diese Technologie ist wirklich noch in den Kinderschuhen, sie wird erst seit gut einem Jahrzehnt konkret eingesetzt.
Als du noch an der Uni geforscht hast, hat es dir teilweise an Rechenleistung für deine Vorhaben gefehlt. Wie funktioniert das heute, was ist die “Hardware” eurer KI?
Die Lage ist gut und schlecht zugleich. An Rechenleistung mangelt es uns nicht mehr, da wir diesen Faktor ausgelagert haben. Es gibt im Endeffekt zwei große Anbieter für Cloud-Computing-Services. Auf diese greifen wir zurück. Für ein Vorhaben wie unseres braucht man Rechenzentren. Die GPUs (Grafikkarten) laufen dort auf Hochtouren, um für uns Vorschläge zu generieren.
Am Ende des ganzen Prozesses soll eine Website, eine Plattform stehen. Wie soll die Website denn konkret aussehen?
Wir hoffen, dass wir noch in diesem Jahr einen Prototypen online stellen können. Das ist nicht ganz einfach, weil ein vergleichbares Projekt einfach nicht existiert. Wir haben keinen Referenzpunkt, keine Blaupause. Mir liegt es sehr am Herzen, dass alle Zugriff auf diese Plattform haben.
Gibt es denn schon einen Startschuss für die Veröffentlichung der Website?
Im März gehen bei uns die ersten Betatests los, wo wir mit ausgewählten Designern unser System auf Herz und Nieren testen werden. Nach einer Feedback-Runde gibt es im Mai die zweite Testphase. Wir versuchen wirklich, so nah an unseren Kunden zu arbeiten, wie möglich. Gerade sehe ich jeden Tag messbaren Fortschritt, und das motiviert das ganze Team.
Website: www.statworx.com/ai-ventures/creation/
Instagram: @creaition