Making a Region
Feels like Hessen sprach mit der Architektin und Architekturvermittlerin Anna Scheuermann, die zusammen mit Andrea Schwappach und Paul-Martin Lead den kürzlich erschienenen Architekturführer Metropolregion Frankfurt Rhein-Main verfasst haben. Ein ideales Handbuch, Guide, Nachschlagewerk, um die Region für sich neu zu entdecken.
Topografisch wird sie von zwei Flüssen umklammert, aber die eigentlichen Anziehungskräfte des Ballungsraums sind wirtschaftlicher, politisch, sozialer sowie kultureller Art. Mit dieser Prämisse schafft das Werk mit rund 300 Bauten aus den fünf Städten Frankfurt, Offenbach, Wiesbaden, Mainz und Darmstadt und den kleineren Kommunen der Umgebung ein einzigartiges Porträt. Dafür verfolgt es einen für einen Architekturführer untypischen aber letztlich doch ziemlich einleuchtenden Ansatz: fünf Fahrradtouren machen die Metropolregion besser erfahrbar, als es eine Fahrt über A3 von Offenbach bis in den Taunus jemals imstande wäre. Wo Tarifgrenzen der RMV verlaufen, schrumpfen Entfernungen mit dem Rad auf wenige Minuten. Dass die Ausgabe nur eine (eindrucksvolle) architektonische Momentaufnahme sein kann, steht bei einer in sich ständig verändernden Region außer Frage. So ist es erfreulich, dass auch in Planung befindliche Projekte wie das neue Terminal 3 oder Four Frankfurt in die Edition aufgenommen wurden. Andererseits sind die Abbildungen der nun verschwundenen Lettern der Offenbach Hills eine dankbare Erinnerung. Wir freuen uns schon jetzt, wenn im Frühling die Vegetation die Umschlagfarbe – knallgrün – annimmt, und wir mit dem Fahrrad auf regionale und architektonische Erkundungstour gehen können.
Organisierte Radtouren: www.architour.de
Feels like Hessen: Es gibt den Architekturführer für renommierte Städte wie Leipzig, Kiew oder Tel Aviv. Wie kam es zu der Entscheidung, eine Ausgabe über die Metropolregion Frankfurt Rhein-Main zu machen?
Anna Scheuermann: Aus unserer (Autoren-)Sicht kann man keinen Architekturführer nur über Frankfurt schreiben, ohne die Metropolregion Rhein-Main dabei zu betrachten, von der die Stadt abhängig ist – genauso wie umgekehrt. Dadurch zeigen sich erst die Vielfalt und die Potentiale, welche die polyzentrische Struktur zu bieten hat. Dann kann sich Frankfurt Rhein-Main auch mit den anderen Global Cities vergleichen, denn so sprechen wir statt von 750.000 Einwohnern der Stadt Frankfurt von 5,8 Millionen Einwohnern der Metropolregion. Trotzdem nimmt Frankfurt als größte Kernstadt (neben Offenbach, Mainz, Wiesbaden und Darmstadt) mit vielen architektonischen Highlights den meisten Raum in unserem Buch ein.
Der Abschnitt Darmstadt spart das Kapitel Jugendstil fast komplett aus. Nach welchen Kriterien wurden die verschiedenen Bauten in den Band aufgenommen?
Uns war es wichtig, die zeitgenössische Architektur und die zukünftigen Entwicklungen in der Region zu zeigen. Dafür war es an der ein oder anderen Stelle wichtig, auch historische Einflüsse auf die heutige Zeit aufzunehmen. Bei der Mathildenhöhe hatten wir jedoch das Gefühl, dass sie bereits hinreichend bekannt ist und vielfach publiziert wurde. Wir wollten lieber darauf hinweisen, was für zeitgenössische Bauprojekte rund um die Jugendstil-Gebäude entstanden sind in den vergangenen Jahren. Die fünf Kernstädte haben ganz eigene Charaktere und spielen in der Geschichte und heutzutage ganz unterschiedliche und komplexe Rollen im Zusammenspiel der Kommunen. Diese wollten wir herausarbeiten und haben uns daher nicht auf eine genaue Projektanzahl vorab festgelegt. Die jeweilige Auswahl hat jeder einzelne Kapitel-Autor getroffen, um ein möglichst rundes Bild der jeweiligen Stadt bzw. der Radtour zu präsentieren. Auch die 300 Bauten, die es in den Architekturführer “geschafft” haben, können nur eine Momentaufnahme sein. Denn während wir sprechen, entstehen bereits neue Bauprojekte.
Wie kam es eigentlich, dass gerade in Frankfurt die Toleranz und Befürwortung gegenüber Hochhäusern im Vergleich zu anderen Städten so hoch ist? In den meisten Metropolen ist das höchste Gebäude weiterhin das Haus Gottes.
Ähnlich wie in anderen Metropolen mit Hochhaus-Silhouette lebt in Frankfurt eine vornehmlich progressive, internationale Stadtgesellschaft, die ein urbanes Umfeld schätzt. Bereits 1953 gab es den ersten Hochhausrahmenplan der Stadt Frankfurt, der (wie die darauf folgenden Pläne) versuchte, den menschlichen Maßstab zu wahren und bestimmte Kristallisationspunkte und später auch Cluster zu bilden.
Sie sagen von sich selbst, dass ihre Heimat die Region Rhein-Main sei. Glauben sie, dass dieses Identitätsgefühl ein spontanes ist oder die Leute eher pragmatisch an einen Ballungsraum denken?
Meine Heimat ist die Region Rhein-Main, richtig, denn gerade die Vielfalt der Kommunen und die unterschiedlichen Landschaftsräume finde ich typisch und schön. Es gibt doch eigentlich gar keine wirklichen Grenzen zwischen den einzelnen Städten im Rhein-Main-Gebiet, aber man muss sich selber in Bewegung setzen, um dies zu entdecken. Besonders beim Radfahren, Inlineskaten, Stand-Up-Paddling oder Wandern kann man die Region erst wirklich erfahren und schätzen lernen.
Es gibt interkommunale Themenfelder wie Verkehrs- und Förderpolitik sowie Kulturangebote, die interregional wahrgenommen werden. Benefits und Lasten sind jedoch ungleich verteilt – siehe das Beispiel Offenbach & Frankfurt. Offenbach ist mit seinen Strukturschwächen ein Gegenpol zu den reichen Taunushängen. Menschen dort fahren zum Einkaufen lieber an die Zeil. Wie kann die Region ausgeglichener werden?
Das ist eine sehr schwierige, politische Frage, die ich nicht ausreichend beantworten kann. In den vergangenen Jahren gab es immer mehr Kooperationen zwischen einzelnen Kommunen und auch innerhalb der gesamten Region. Der Regionalverband, der Regionalpark und die Kulturregion können viel besser über solche neuartigen Projekte sprechen als ich. Ich denke, davon profitiert jede Kommune in Rhein-Main auf die ein oder andere Art und Weise. Daher finde ich auch das Thema “Großer Frankfurter Bogen” so wichtig, welches die Hessische Landesregierung angestoßen hat. Für mich lässt es sich am Beispiel Offenbach und Frankfurt gut konkretisieren: Offenbach braucht Frankfurt (Jobs, Hochkultur, zahlungskräftige Kundschaft) genauso wie Frankfurt Offenbach braucht (arbeitswilliges Personal z.B. für den Flughafen, Subkultur/Kreativbranche und bezahlbare Wohnungen). Daher ist die flexible Mobilität zwischen Frankfurt und Offenbach bzw. in der gesamten Rhein-Main-Region so wichtig.
Auf welche künftigen architektonischen Entwicklungen freuen Sie sich persönlich am meisten in den kommenden Jahren?
Auf das Zusammenwachsen von Offenbach und Frankfurt, besonders am Kaiserlei und Hafen.