Naturwein – Trend oder Hype?
Naturwein – das Trendgetränk polarisiert zwischen Liebhabern und Skeptikern. Aber handelt es sich nur um kurzfristige Euphorie oder birgt es auch langfristiges Potenzial? Wir haben zwei Experten gefragt, um einen genauen Einblick in die Welt des Naturweins zu erhalten und die Gründe für und gegen ihn abzuwägen.
Text: Clara Glaus & Lucas Muth
Datum: 07.02.2024
Fotos: © Rollanderhof
Auch als naturaler Wein bekannt bildet der Naturwein eine eigene Kategorie, bei der die Trauben auf ökologische oder biodynamische Weise angebaut und der Wein im Keller ohne oder mit minimalen Eingriffen (im Englischen ist auch die Bezeichnung “low intervention wine” geläufig) hergestellt wird. Charakteristisch ist eine natürliche Gärung mit wilden Hefen und oft ohne Zusätzen von Schwefel, die einen “ungeschönten” Wein hervorbringt.
Im gemütlichen Coffee Shop EspressoEspresso in der Frankfurter Innenstadt treffen wir uns mit Claudio, der vor ein paar Jahren aus Leidenschaft für Wein begonnen hat, Naturwein auf die Karte zu setzten. Allerdings geschieht dies mit einem mysteriösen Touch: Auf der Karte steht lediglich nur „Glas Wein“ und täglich öffnet Claudio verschiedene Flaschen. „Die Leute suchen hier nach neuen Geschmackserlebnissen“, erklärt Claudio. „Wir laden auch gern zum Probieren ein, um den Gaumen für diese vielfältige Geschmackspalette zu trainieren“, so der Weinbarbesitzer.
Claudio benutzt nun den Begriff „Naturwein“ nicht mehr, sondern für ihn handelt es sich schlicht um „Wein“ und alles andere betrachtet er scherzhaft als „konventionelle Cocktails“. „Naturwein ist einfach Wein, so wie er vor 8.000 Jahren gemacht wurde“, fügt er mit einem Lächeln hinzu. Claudio sieht als Ergebnis nicht nur einen leckeren Rebensaft, sondern auch einen Beitrag zur Verbesserung des Bodens, der Erhaltung der Ökosysteme und einen grundsätzlichen Respekt gegenüber der Natur. Er schätzt Naturweine als lebendigere Weine mit ausgeprägter Struktur und Mineralität. Im Mittelpunkt seiner Philosophie steht das direkte Verhältnis zwischen Menschen und Wein sowie die tiefe Verbindung zur Tradition und Kultur, die hinter jedem Tropfen steckt.
Andreas Weyerhäuser, Winzer und Besitzer des Weinguts Rollanderhof in Saulheim, findet im Naturwein eine aufregende Erweiterung des Geschmackspektrums, betont aber auch, dass die alternative Verfahrensweise bei Naturwein hauptsächlich im Keller und nicht im Weinberg stattfinde. „Naturwein bedeutet ja nicht Bio-Wein“, fügt er zur Präzisierung hinzu. Auf konventionelle Weine, die mit ihrer langen Kultivierungs- und Verarbeitungsgeschichte eine hervorragende Qualität bieten, möchte Weyerhäuser nicht verzichten, auch wenn er dem Naturwein einiges abgewinnen könne. Seines Erachtens gibt es keine Kategorie von besser oder schlechter – Naturwein und konventionelle Weine seien einfach unterschiedlich, und beide Herstellungsarten können sowohl gute als auch weniger gelungene Produkte hervorbringen.
Weyerhäuser hebt zudem hervor: „Was das Thema Gesundheit und Umweltschutz betrifft, ist Naturwein doch sehr romantisiert. Meiner Meinung nach bieten diese Weine keine Vorteile für Umwelt oder Gesundheit im Vergleich zu Bio- oder konventionellen Weinen.“ Zunächst unterstreicht er beim Thema Gesundheit, dass die Stoffe und Verfahren, die beim Naturwein nicht oder kaum verwendet werden, alle geprüft und sicher in der Lebensmittelherstellung seien. Als Beispiel nennt er den Einsatz von Bentonit, einem Gestein, das zur Klärung des Weines verwendet werde. Oder auch andere Stoffe wie Schwefeldioxid, ein wasserlösliches Gas, das im fertigen Wein als antimikrobielles Mittel dient, sowie mechanische Eingriffe wie die Filtration. „Wissenschaftlich gesehen, gibt es hier meiner Meinung nach keine erwiesenen Vorteile für die Gesundheit. Das Gesunde ist somit eher subjektiv und auf philosophischer Ebene zu suchen”, erklärt er. Beim Thema Natur und Umwelt merkt Weyerhäuser an, dass Naturwein niedrigere Erträge pro Hektar aufweise, wodurch mehr Fläche benötigt werde, um dieselbe Menge Wein zu erzeugen. „Für mich fällt das Konzept also unter die Kategorie Luxus und nicht unter Nachhaltigkeit, weil die begrenzte Fläche, die für den Weinbau zur Verfügung steht, nicht optimal genutzt wird”, schließt der Winzer ab.
EspressoEspresso ist ein Coffee Shop in Frankfurt, das sich in der Braubachstraße 28 in der Altstadt befindet. Es wurde im September 2018 von Claudio und seinem Team eröffnet und ist mittlerweile ein beliebter Treffpunkt der Naturwein-Szene in Frankfurt.
Das Weingut Rollanderhof in Saulheim, Rheinhessen, ist ein Familienbetrieb, geführt von Brigitte Thörle-Weyerhäuser, Rudolf Weyerhäuser, Anna Weyerhäuser-Jung und Andreas Weyerhäuser. Mit einer 35 ha großen Rebfläche bieten sie über 50 verschiedene Weine und Sekte an.
Instagram:
@weingut_rollanderhof
@espresso.espresso.frankfurt