ISO 069: Luzie

ISO 069: Luzie

Fotos: Wilhelm Rinke @wilhelm.obj
Redaktion: Paul Kremershof

Zugegeben, wir in Frankfurt und Offenbach leiden ja immer ein bisschen, wenn eine Künstlerin oder ein DJ nach Berlin abwandert. Du bist allerdings wieder nach Offenbach zurückgezogen. Wie hat die Stadt dich rumgekriegt?

Es war 2016 schlichtweg ein Bauchgefühl, dass es der richtige Ort ist, und dieses Gefühl hat mich bis heute nicht getäuscht. Offenbach hatte und hat für mich auch immer noch etwas Rebellisches, Künstlerisch-Kreatives und Abgefucktes, aber gleichzeitig etwas sehr Schönes und Gemütliches. Für mich war es, als ich aus Berlin wiederkam, eine komplett neue unentdeckte Stadt, und ich fühle mich hier sehr Zuhause. Alles, was andere an Offenbach stört, gefällt mir.

Dass ich bisher nicht wieder nach Berlin abgewandert bin, liegt vor allem daran, dass ich meine Berlin-Erfahrung vielleicht schon früher gemacht habe als andere Künstler*innen. Ich bin direkt nach meinem Abitur abgehauen und habe eine Ausbildung im DJ-Booking in Berlin machen können, mitten in Mitte. Berlin war mir nach drei Jahren aber einfach zu überdimensional. Mir ist es schwergefallen, persönliche langfristige Bindungen aufzubauen. In Offenbach haben wir eine sehr kompakte Innenstadt, die man in einer Stunde ungefähr durchlaufen kann. Im Endeffekt ist es immer eine Typsache, wo man sich wohlfühlt.

 
 
Alles, was andere an Offenbach stört, gefällt mir.

Bleiben wir noch einen Moment in der 069-Area: Wie würdest du die Musikszene für elektronische Musik hier beschreiben? Was gefällt dir, was vermisst du hier?

Unsere lokale Musikszene ist natürlich im Vergleich zu Berlin winzig, aber dafür auch sehr nah beieinander und teilweise familiär, auch wenn es mehrere Blasen gibt, die nicht viel miteinander zu tun haben. Auch wenn es nicht wahnsinnig viele Angebote gibt, kann man fast jedes Wochenende zu internationalen Künstler*innen oder lokalen DJs feiern gehen. Von House bis Italo Disco, Indie Dance und Hardtechno ist eigentlich alles vertreten. Unsere musikalische Subkultur ist stärker, als man annehmen würde, und in den letzten drei bis vier Jahren hat es sehr viel Wachstum und Zusammenwachsen gegeben an Kollektiven und Menschen, die einen ähnlichen Musikgeschmack haben und etwas bewegen wollen.

Wir haben durch die hohe Dichte an Banken im Sommer eine große After-Work-Kultur und eine große Barszene. Es gibt viele Pop-up-Locations und sehr coole Outdoor-Locations für den Sommer, von denen leider viele schließen mussten, weil sie z. B. der Deutschen Bahn gehören. Was ich vermisse, sind mehr Clubs. Und Orte, an denen man sonntags tagsüber feiern und tanzen gehen kann. Ich liebe es, sonntags zu feiern.

 
 
Die elektronische Musikszene ist momentan sehr politisch.

Du bist viel unterwegs und legst im Berghain, Tanzhaus West oder in diversen Radio-Shows auf. Wie ist das Leben als DJ im Jahr 2024?

Ich denke, dass sich in den letzten vier Jahren einiges geändert hat. Nicht nur, dass wir zum Glück oft diversere Line-ups haben, es gibt auch eine neue Generation Veranstalter*innen, die viel sensibler mit gewissen Themen umgehen und den Zahn der Zeit erkannt haben, worauf es bei Veranstaltungen heutzutage ankommt.

Auf der anderen Seite ist es dadurch, dass es mittlerweile viel mehr DJs gibt und wir im digitalen Zeitalter leben, schwieriger bis unmöglich geworden, sich als authentischer DJ ohne viel mediale Aufmerksamkeit bzw. viele Instagram-Follower herauszustechen. Einfach ist es nicht, und man muss sich bewusst sein, warum man das alles macht und es wirklich aus Leidenschaft und Liebe zur Musik tun. Reich wird man dadurch auch nicht, nur wenn man wirklich die komplett kommerzielle Schiene fährt oder es in die oberen Prozent schafft.

Wir leben außerdem in einer sehr unsicheren ökonomischen und weltpolitischen Lage durch z. B. den Ukraine-Krieg und den immer weiter eskalierenden Nahost-Konflikt. Das geht alles auch an der elektronischen Musikszene nicht vorbei und hat Auswirkungen auf viele Bereiche, wie die höheren Nebenkosten, Mieten, Eintrittspreise etc. Aber es bewirkt auch Spaltung untereinander – Clubs und Personen werden gecancelt oder gemieden, weil sie auf einer Seite stehen. Die elektronische Musikszene ist momentan sehr politisch.

 
 

Ein kurzes „About Luzie“: Wo stehst du aktuell? (z. B. Ausbildung, Studium, Beruf, Selbstfindung etc.).

Ich habe dieses Jahr mein Studium nach einigen Semestern aufgegeben und bin momentan, nach fast zehn Jahren in der Club- und Bar-Gastronomie, auf der Suche nach einem Job, der mir ein solides zweites Standbein neben der Musik ermöglicht und mich fordert. Ich werde außerdem nächstes Jahr 30, und da sind mir im letzten Jahr viele Dinge perspektivisch durch den Kopf gegangen. Mir ist es wichtig, meine Musikkarriere weiterhin so aufzubauen, dass der damit verbundene und ganz normale Stress sich mit mentaler Gesundheit, Nachhaltigkeit und Sicherheit vereinbaren lässt.

Für jene, die dich noch nicht gehört haben: Wie würdest du deine Musik beschreiben?

Mein Herz schlägt definitiv für einen sehr deepen und klassischen House-Sound, der trotzdem energetisch und vielleicht auch mal etwas rougher klingt. Ich mag es, die Leute von unten abzuholen und einen Sound zu kreieren, der immer weiter rollen kann. Ich benutze oft Tracks mit trippigen Elementen und viele Vocals. Besonders in meinen Radioshows zeige ich oft meine Liebe für rumänischen House, Minimal und Chicago House. Was nicht bedeutet, dass ich nicht auch Techno liebe.

Und am Ende hält natürlich immer noch das Robert Johnson die Fahne oben.

Was sind deine Lieblingsorte, Events oder Radioformate für gute Musik in Offenbach und Frankfurt?

Ein Ort, an dem ich sehr gerne bin, ist der Plattenladen Mainrecords. Außerdem bin ich fast täglich in meinem Lieblingscafé Mancini in Offenbach oder ich strolle durch den Hafen oder über unseren Wochenmarkt. Neben unseren Events mit Mitte der Gesellschaft und Clubcherry würde ich privat zum Tanzen und Trinken am liebsten in die Bar Central, ins Dora Brilliant im Tanzhaus, ins AMP, ins Silbergold oder Plank! nach Frankfurt.

 
 

Die Offenbacher und Frankfurter Szene bietet einige sehr coole Partyreihen und junge Kollektive mit qualitativem Underground-House-Sound, wie z. B. Linie 36, Level Of Intimacy, Draussenffm, Rawax, Sundayservice, Dexterous Energy, Shibuya u. v. m. Und am Ende hält natürlich immer noch das Robert Johnson die Fahne oben. Außerdem kann ich Radioshows wie das Radio X empfehlen, mit den X-Fade DJ Nights und natürlich Offenbach Love Soundscapes auf Callshop Radio.

Hast du schon Pläne und Vorsätze für das kommende Jahr? Wenn ja, welche?

Mein Hauptziel und Vorsatz im nächsten Jahr wird weiterhin sein, mit Platten aufzulegen oder sogar schon ein paar Gigs Vinyl-only zu spielen. Was das Produzieren und Musikveröffentlichen angeht, mache ich mir keinen Druck. Bisher saß ich im Studio zusammen mit Dawit Asfaha. Das macht viel Spaß, und darauf möchte ich aufbauen und das weiter verfolgen. Außerdem habe ich noch einige Gäste aus Offenbach und Frankfurt, die ich in meine Radioshow einladen möchte, und es stehen einige Events und Neuerungen mit Clubcherry und Mitte der Gesellschaft an. Zu guter Letzt würde ich mich sehr freuen, für ein paar coole Festivals im Sommer gebucht zu werden und natürlich weiterhin in der Panorama Bar spielen zu dürfen.

Was macht deiner Meinung nach einen guten Club oder eine gute Veranstaltung aus?

  1. Eine perfekt für die Tanzfläche und den Raum ausgelegte Musikanlage

  2. Maximale Freiheit, ein hedonistischer Vibe

  3. Rückzugsecken

  4. Ein aufeinander aufgebautes, durchdachtes, diverses Booking

  5. Handyverbot bzw. abgeklebte Handys

  6. Geschultes Türpersonal und Selektoren

  7. Ein Awareness-Konzept


Listen: Soundcloud
Follow: @luzieoffenbach