Feels like Brett

Feels like Brett

Daniel Brettschneider blickt zurück auf 2017. Damn!

Text + Foto: Daniel Brettschneider
Illustration: Sara N. Abtahi


2017 – Feels like we only go backwards.
Im Blick zurück entstehen die Dinge. Aus popkultureller Sicht kann man 2017 von mir aus recht schnell abhaken. Der beste Film hieß „Get Out“ (na gut, "A Ghost Story" leider bisher noch nicht gesehen!), den schönsten literarischen Moment bescherte Sonja Heiss mit „Rimini“, das Album des Jahres kam wie eigentlich immer von Kendrick Lamar. Damn! Man neigt natürlich dazu, in der Nachträglichkeit Dinge zu verklären, aber 2016 setzte hier dann doch völlig andere Maßstäbe. Mit Maren Ades „Toni Erdmann“, „Vom Ende der Einsamkeit“ von Benedict Wells und Angel Olsens „My Woman“ hinterließ das Vorjahr Eindrücke, die weit in und über 2017 hinaus wirken, die für mich bleiben werden. Ich bezweifle stark, dass 2017 auch nur einen Film oder eine Platte hervorbrachte, die an die Intensität des Vorjahres in Sachen Pop anknüpfen. Ein bisschen ist 2017 da wie „Trainspotting 2“: ok, bemüht, ganz unterhaltsam. Und verglichen mit seinem Vorgänger dann eben doch fast überflüssig, zumindest ohne einen Funken dieser umwälzenden Energie.

Überhaupt war dieses Jahr irgendwie eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, ob gewollt oder nicht. Der Brand des Goetheturms – von dem ich nachts auf den Straßen Palermos erfuhr – hinterließ einen Schock, der sich direkt mit Wut, Trauer und Hochprozentigem vermischte. Doch bevor der Plan einer sizilianischen Botschaft an die vermeintlichen Brandstifter reifen konnte, erlebte ich aus der Ferne eine beeindruckende Solidarität derjenigen, die – wie ich auch – Kindheits- und Jugenderlebnisse mit dem Goetheturm verbanden, die Botschaften und Liebesschwüre hoch oben einritzten, von ihren Eltern damals zum Waldspaziergang gezwungen und mit dem Anblick des gigantischen Holzturms vielfach entlohnt wurden. Er war halt einfach da. Unaufgeregt, imposant, bezaubernd. Die Reaktionen in den sozialen Medien halfen mir – gemeinsam mit Arancini, Aperitivo, Pasta e Vino – das Geschehene besser zu begreifen, einzuordnen, gemeinsam nach vorne zu blicken. Ja, ich würde sogar behaupten, das virale Erinnern spendete Trost, war ungeahnt wichtig. Wenn man mal länger im Urlaub ist, sind Facebook, Insta und Co. an solchen Tagen und unter besonderen Umständen auf einmal nicht mehr nur nervige Zeitdiebe. Auch eine Erkenntnis aus 2017.

Turm-Verluste treffen bei mir anscheinend generell einen neuralgischen Punkt. Während der Goetheturm vor allem meine Kindheit und Jugend mitprägte, stand der AfE-Turm für ca. 30 Semester intensivstes Studieren. Beide Türme sind weg. Abgebrannt und weggesprengt. Ein bisschen hessisch Trauma à la „Vertigo“. Kürzlich musste ich nach Jahren für ein Gespräch zurück an die Frankfurter Uni. Jetzt: Campus Westend. Ich glaube, man muss den Turm, die Zeit und ein dortiges Diplom-Studium erlebt haben, um den Campus Westend für eine fast aberwitzige Truman Show-Kulisse zu halten, eine Architektur gewordene Bologna-Reform. Möglicherweise braucht es dafür aber nicht mal die Our-Tower-Desire-Vergleiche. 
Natürlich waren die Arbeitsbedingungen im Turm bescheiden, aber Arbeit war hier auch noch nicht gleichbedeutend mit einer Erziehung zur Effizienz. Die Sprengung des Turms stand für mich also nicht nur für den Verlust eines persönlich geliebten Ortes sondern vor allem symbolisch für die Preisgabe eines Bildungsideals, das bereits Jahre zuvor beschlossene Sache war. Egal, ein viel zu weites Feld. Das nun ja auch nicht mehr beackert wird.
Sobald der Goetheturm wieder aufgebaut ist, werde ich jedenfalls mit Rocky-Musik (oder wie immer eben der Boss: „Born to Run“) auf den Kopfhörern hochrennen, dabei schnauben, schwitzen und schreien, um ganz oben ein Päckchen Zigaretten zu rauchen. Gegen den Zeitgeist. Und wenn ich danach noch etwas Luft und einen Hauch von Kraft in mir verspüre, würde ich möglicherweise jenen Satz in das Holz einritzen, der mir bereits in der Studienzeit hier und dort entgegen prangte: “Turm, ich will Kinder von Dir ♥“. 


Daniel Brettschneider, Jahrgang 1980, lebt und arbeitet in Offenbach am Main. Er kuratiert seit Jahren verschiedenste Filmreihen in Rhein-Main und ist als Redakteur für die Kultur bei Feels like Hessen zuständig.