Why so Serious?
Hessen macht ernst: Das hessische Wirtschaftsministerium fördert sieben “Serious Games” mit insgesamt 325.000€ und entwickelt sich zum Hotspot für die Games-Nische. Höchste Zeit zu fragen: Was sind Serious Games, und wieso sollten wir sie fördern? Das verrät Prof. Dr. Lutz Anderie im Interview. Er ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der Frankfurt University of Applied Sciences. Seine Spezialgebiete sind Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Games. Er hat einige Bestseller zur Spielebranche geschrieben und unter anderem mit Sony Playstation und Atari zusammengearbeitet. Im Interview erklärt er uns den Unterschied zwischen Entertainment Games und Serious Games. Und wieso uns in Zukunft der Ernst im Spiel zunehmend begegnen dürften.
Herr Anderie, wie wird man eigentlich Experte für Videospiele?
In der Games-Branche war ich Quereinsteiger. Da bin ich vor zwanzig Jahren so richtig reingestolpert. Ich habe vorher Konsumwaren vermarktet: Spielwaren, DVDs und BluRays für Filmstudios. Ich wurde dann gefragt, ob ich nicht das gleiche auch für die Games-Branche machen möchte. Anfangs habe ich nein gesagt, aber man hat mir ein gutes Angebot gemacht. Jetzt bin ich ziemlich glücklich, in dieser Branche zu Hause zu sein.
Wir reden heute über Serious Games. Wo kommt dieser Name her?
Videospiele sind ein voll internationalisierter, professioneller Markt, in dem über 200 Milliarden US-Dollar Stecken. Davon gibt es eine Marktnische, die hat eine Größe von 9 Milliarden, gerade 5 Prozent. Das sind keine “Blockbuster” Games, sondern Spiele, die zur Weiterbildung und zur Schulung, genutzt werden. Und daher rührt auch der Name “ernste Spiele”. Der Begriff Serious Games in Deutschland ist auch maßgeblich von Dr. Stefan Göbel von der TU Darmstadt geprägt worden.
Wofür werden Serious Games eingesetzt?
Die Anwendungsbereiche sind sehr breit gestreut. Weiterbildung und edukative Inhalte stellen wahrscheinlich das größte Segment dar. Motorisches Training und Simulationen sind ebenfalls ein großer Teil. Teambuilding, Sicherheit und Arbeitsabläufe können auch über Serious Games vermittelt werden. Mittlerweile werden Serious Games sogar auch zur Therapie eingesetzt, zum Beispiel bei einer Spinnenphobie. So kann man auf spielerische Weise und in kontrollierter Umgebung Ängste überwinden.
Bei herkömmlichen Games trainiert man beim Spielen ebenfalls Motorik, Reaktionszeit und manchmal auch den Kopf. Was unterscheidet ein herkömmliches Game mit Lernfaktor von einem Serious Game?
Bei Entertainment Games da geht es um spielerische Unterhaltung. In der Tat wird dort auch Augen-Hand-Koordination trainiert, das ist mittlerweile nachgewiesen. Bei einem Strategiespiel kann das auch gut vorkommen, dass man beim Spielen komplizierte Sachverhalte lösen- und so sein Gehirn trainieren muss. Der Unterschied ist, dass genau dieser Aspekt bei Serious Games im Vordergrund steht, sowohl als Teil der Designphilosophie, als auch im eigentlichen Gameplay. Es sind also zwei unterschiedliche Intentionen. Ein Entertainment Game muss Spaß machen, und darf auch mal etwas beibringen. Ein Serious Game muss etwas vermitteln, aber soll unbedingt auch Spaß machen.
Gerade im Fall von schwierigen Themen wie Phobie: Wie geht man spielerisch mit solchen ernsten Themen um, ohne sie dabei zu trivialisieren? Schaffen Serious Games diese Gratwanderung?
Da sind wir im Bereich der Ethik angekommen. Es gibt Serious Games, die beschäftigen sich zum Beispiel mit Suizid, ein absolut sensibles Thema. Hier ist Fingerspitzengefühl gefordert, und einiges kann ein Spiel schlicht nicht erfüllen. Da braucht es menschlichen Kontakt und Supervision. Es ist in diesem Fall wirklich nur ein ergänzendes Angebot. Ethische Fragen treten aber auch an ganz anderen Stellen auf, zum Beispiel wenn es um Datenverarbeitung geht.
Wie kommt ein Serious Game zustande?
Besonders ist, dass bei Serious Games der Käufer ungleich dem Nutzer ist. Das ist im starken Gegenteil zum Entertainment Games Markt, wo Spiele meistens für Publisher entwickelt werden, die die Spiele dann an den Endkunden bringen, über Softwarelösungen wie Steam. Bei Serious Games ist es häufig so, dass eine Organisation oder Einrichtung den Auftrag für ein Serious Game stellt, zum Beispiel die hessische Polizei für ein Trainingsspiel, oder eine Krankenkasse für eine Spinnenphobie-App. Die Spiele werden also direkt für Unternehmen oder Organisationen entwickelt, die diese Produkte dann an die NutzerInnen bringen.
Können Serious Games auch kommerziellen Erfolg feiern?
Auf jeden Fall können sie das. Das beste Beispiel ist hier der Microsoft Flight Simulator. Egal ob man ihn nun als Serious Games ansehen möchte oder nicht, es ist de facto eines der am meisten verkauften Spiele der Welt, und wird teilweise heute noch als Vorbereitung für ein Pilotentraining herangezogen. Wenn man die Definitionen etwas lockerer nimmt, dann verschwinden die Grenzen zunehmend. Man könnte auch ein Spiel wie Counter-Strike: Global Offensive als Serious Game bezeichnen. Es wird nicht viel darüber geredet, aber selbstverständlich trainieren auch Polizei und Militär mit solchen oder ähnlichen Shootern. Counter Strike bereitet einen Polizisten sicher nicht auf einen terroristischen Anschlag vor, aber trainiert dafür Hand-Augen-Koordination. Darüber wie populär Serious Games zum Beispiel im Militär sind, lässt sich nur wenig lesen. Meistens wird zwischen den Entwicklern und den Kunden eine sogenannte Geheimhaltungsvereinbarung unterschrieben.
Wie sieht die Zukunft der Serious Games aus?
Der Markt wird auf jeden Fall weiter wachsen, er hat großes Potential. Die Frage ist natürlich mit welcher Geschwindigkeit und in welche Richtung. Entertainment Games haben ja wirklich die Massen erreicht und sind in der Gesellschaft angekommen. Hier wird die spannende Frage, ob Serious Games auch eine ähnliche Massentauglichkeit erreichen können, oder ob sie professionelle Produkte für B2B Käufe bleiben.
Brauchen wir mehr Serious Games im Unterricht: An der Schule oder in der Uni?
Ganz klar: Ja! Es ist eine gute Sache, dass der Staat Hessen jetzt auch explizit Serious Games fördert. Spiele sind für viele Menschen der erste Berührungspunkt zur digitalen Gesellschaft und nehmen deswegen eine besonders wichtige Rolle ein.
Herr Anderie, vielen Dank für das Gespräch! Vielleicht sehen wir uns ja bei der Eröffnung des MOMEM und spielen zusammen eine Runde Tetra Musicus.
Auf jeden Fall, so machen wir’s.
Website: anderie-management.com
YouTube: Dr. Lutz Anderie
Publikationen: UAS Frankfurt
Mehr zum Thema: www.kreativwirtschaft-hessen.de