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To ESA and beyond – Gaming und Raumfahrt in Hessen

Durch das Weltall sind wir alle schon einmal geflogen. Zumindest in Computerspielen. Aber wer hätte gedacht, dass unser Spielverhalten tatsächlich einen Mehrwert für die Weiterentwicklung der Raumfahrt leisten kann. Wir haben mit Prof. Stephan Jacob von der Hochschule Darmstadt über sein Kooperationsprojekt mit der ESA, der europäischen Raumfahrtbehörde, gesprochen und dabei herausgefunden, wie unsere Spieledaten dabei helfen können, mit einer künstlichen Intelligenz auf dem Mond zu landen.

Interview: Lucas Muth
Datum: 31.10.2023
Bilder: Noelle Schaub

Stephan Jacob ist Professor für Creative Technology an der Hochschule Darmstadt und Gründer der Firma BiteTheBytes GmbH. Mit dem Produkt World Creator entwickelte seine Firma den weltweit ersten Echtzeitlandschaftsgenerator und ist seither als Weltmarktführer im Animations- und Spielemarkt etabliert. Zahlreiche renommierte Studios nutzen die Software für digitale Landschaften in ihren Spielen. BiteTheBytes erhielt den Hessischen Gründerpreis, den Deutschen Spieleentwicklerpreis und den Europäischen Technologie-Innovationspreis.

Seit 2008 ist er als Dozent an verschiedenen Bildungseinrichtungen tätig, darunter die Games Academy, wo er den Fachbereich Game Programming leitete und Studentenprojekte zur Veröffentlichung brachte. Seit 2018 ist er Professor an der Hochschule Darmstadt im Studiengang "Animation & Game". Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Programmierung, Gamification, KI und Spieldesign. Stephan Jacob ist in der nationalen und internationalen Spieleindustrie gut vernetzt und hält regelmäßig Vorträge und Workshops zu Game Design und künstlicher Intelligenz auf internationalen Kongressen und Messen.

Hand aufs Herz, Stefan: Wärst du als Kind lieber Astronaut geworden oder wolltest du schon immer Spiele entwickeln?

Stephan Jacob: Ich wollte Spiele entwickeln. Das Astronautendasein hatte ich natürlich immer im Hinterkopf, aber ich habe schon als kleines Kind in meinem Zimmer neue Level für Nintendospiele gemalt und wollte für die Spiele selbst welche bauen. Das war ein tiefer Wunsch, weil ich schon früh mit Spielen angefangen hatte.

 

Und wie ist dein Eintritt in die Gaming-Branche vonstatten gegangen?

Stephan Jacob: Direkt im Studium. Ich habe klassisch Informatik studiert aber schnell festgestellt, dass mich das Entwickeln von Videospielen mehr reizt als das reine Programmieren von Anwendungssoftware. Ich habe anschließend mit einem Kommilitonen die Firma BiteTheBytes gegründet und darauf eine Diplomarbeit in ein Produkt umgesetzt. Das machen wir bis heute recht erfolgreich.

 

Du unterrichtest auch an der Hochschule Darmstadt in dem Studiengang Animation & Game. Was war der Reiz für dich, in die Lehre zu gehen und wie geht es dir an der Schnittstelle zwischen Theorie, Forschung und Praxis?

Stephan Jacob: Also erst mal, das ergänzt sich extrem gut, weil alle drei Bereiche voneinander profitieren. Angefangen mit der Lehre habe ich schon früh, kurz nachdem wir unsere Firma gegründet hatten. Wir sind nach den ersten zwei Jahren der Firmengründung auf zahlreiche Messen gefahren, um unser Produkt vorzustellen. Damals haben uns Privatschulen angesprochen, die Dozenten gesucht haben, und da haben mein Geschäftspartner und ich gesagt, dass wir das mal ausprobieren wollen, bis das Geschäft läuft. Ich habe danach jedoch nicht mit dem Unterrichten aufgehört. Nach einigen Hochschulwechseln bin ich schließlich zur Hochschule Darmstadt gekommen.

“Es gibt hier einen riesengroßen Schatz zu heben in der Spieleindustrie in Hessen, denn vielen ist auch noch nicht bewusst, dass Spiele aktuell das definierende Medium für Kultur und Kunst sind. […] Wir haben mit Videospielen das entscheidende Medium der Zukunft.

Prof. Stephan Jacob über die Bedeutung des Videospielsektors in der Kreativwirtschaft

„Games sind mehr als Entertainment“, hört man in letzter Zeit öfter. Welches Potenzial steckt deiner Meinung nach in Videospielen?

Stephan Jacob: Die Spieleindustrie ist für viele Technologien verantwortlich, die wir heute selbstverständlich nutzen. Nur als Beispiel: Smartphones hätten sich niemals so weit entwickelt, wäre nicht die Spieleindustrie gewesen, die diese technologische Entwicklung so vorangetrieben hätte. Das nennt man dann Spill-Over-Effekt.

Spill-Over-Effekte bezeichnet man das Phänomen, wenn eine Industrie etwas generiert, das von ganz vielen anderen Industrien genutzt werden kann – das gibt es häufig in der Videospielindustrie.

Ein anderes Beispiel ist die künstliche Intelligenz, die in Videospielen schon von Beginn an entwickelt wurde. Man hat für die Spieler ja Gegner gebraucht und diese mussten mit KI generiert sein. Zum Beispiel, wenn Spielfiguren sich bewegen sollten, dann mussten die über die Karte laufen. Also hat man Algorithmen aus der Mathematik genommen und versucht, diese in Wegfindung und Algorithmen umzuwandeln. Die stecken heute in Navigationssystemen und in unseren Handys, in Google Maps, drin. Man hat also die künstliche Intelligenz weiterentwickelt.

 

In welchen Bereichen spielt Gamification und Videospieltechnologie denn eine Rolle? Kann man das eingrenzen?

Stephan Jacob: Das lässt sich kaum eingrenzen. Zum Beispiel sehr viele Autohersteller, Versicherungen, selbst große Pizza-Anbieter aus den USA haben Gamification benutzt, um neue Angestellte zu finden. Auch in der Medizin wird Videospieltechnologie für grafische Bildverarbeitung genutzt. Es wird viel von der Visualisierung, die man in Videospielen hat, benutzt, um in Echtzeit Visualisierungen zu ermöglichen – für bildgebende Verfahren von CRT-Systemen, also Magnetröhren, zum Beispiel.

 

Was bedeutet das für die Berufswahl von jungen Entwicklerinnen und Entwicklern aus eurem Studiengang?

Stephan Jacob: Also aus meiner Erfahrung ist es so, dass ein Großteil unserer Studierenden schon erst einmal in der Spielebranche landet. Aber ich habe sehr oft den Fall erlebt, dass Absolventen zwar bei einer Gaming-Firma arbeiten, aber nach ein paar Jahren von Firmen aus anderen Industriezweigen abgeworben werden. Interessant finde ich auch, dass auf der Gamescom sehr viele Firmen sind, die eben nicht aus der Branche sind, aber trotzdem auf der Gamescom aktiv nach Spieleentwicklern suchen.

 

Das betrifft unter anderem auch die Raumfahrt. Du kommst jetzt gerade vom Weltraumkongress 2023 in Berlin. Kannst du uns kurz erzählen, wie du zur Raumfahrt gekommen bist und welches Projekt du hier betreust?

Stephan Jacob: Vor ein paar Jahren gab es eine Studie von der TU Darmstadt und der ESA, also der Europäischen Raumfahrtbehörde, mit der herausgefunden werden sollte, welche Mittel es gibt, um die Mondkratererkennung genauer zu machen. Und die Idee dahinter war, dass man verschiedenste Akteure von allen möglichen Industrien einlädt, um über den eigenen Tellerrand zu schauen. Ich habe die Videospielindustrie vertreten.

Dann haben wir diese Studie mit verschiedenen Ideen aus allen möglichen Branchen durchgeführt. Hier hat sich dann schnell herauskristallisiert, dass die Gamification eine mögliche Lösung für das Problem der Mondkraterkartierung ist.

Wir haben ein Spiel entwickelt, das thematisch zum Problem passt, und haben dort die Problemlösung als Game-Mechanik eingebaut, die vor allem Spaß machen soll. Durch das Spielen werden dann wissenschaftliche Daten generiert. In unserem Fall sind das die Markierungen von Mondkratern. Die Spieler bekommen dafür die echten Satellitenbilder vom Mond und können darauf die Krater markieren. Und damit erstellen wir eine große Datenbank.

Das ist deshalb so erfolgversprechend, weil Menschen das extrem gut können. Man hat das jahrelang mit Algorithmen probiert, die automatisch Bilder gescannt und dabei versucht haben, Krater zu erkennen. Aber das hat nie so optimal funktioniert.

Menschen können aber sehr gut Helligkeit, Dunkelheit und geometrisch eindeutige Formen erkennen. Deswegen konnte Neil Armstrong damals mehr oder weniger leicht auf dem Mond landen. Nun soll die ESA-Sonde das aber automatisch machen und dafür brauchen wir eine künstliche Intelligenz, die diese Landung durchführt. Dafür ist unser Spiel da und wir stellen den Datensatz her, mit dem die Landungs-KI trainiert wird.

 

In welchem Zeitrahmen bewegt ihr euch da?

Wir planen aktuell, dass wir auf der Gamescom im nächsten Jahr unseren neuen Prototyp haben, den wir dann auch schon veröffentlichen können und den man auch schon spielen kann.

 

Neben deiner Forschung arbeitest du auch in deiner Firma BiteTheBytes, mit der du ein sehr erfolgreiches Programm entwickelt hast, das von allen großen Gaming-Studios aber auch der Filmeindustrie zur Entwicklung ihrer digitalen Landschaften genutzt wird. Wieviel Überschneidungen gibt es zwischen deiner Forschung und der Arbeit bei BiteTheBytes?

Stephan Jacob: Das ergänzt sich auf jeden Fall wunderbar. Man bekommt bei der Arbeit in der Firma mit, welche Probleme es bei der Entwicklung von bestimmten Produkten gerade gibt. Die kann man in der Forschung untersuchen und, wenn die Ergebnisse da sind, in der Lehre wieder behandeln, oder in das Produkt einbauen, um es zu verbessern.

© Stephan Jacob

Mit der Firma seid ihr in Fulda, du unterrichtest in Darmstadt. Welches Potenzial siehst du in Hessen für die Branche?

Stephan Jacob: Wir haben in Hessen fast alle großen Game-Publisher: Nintendo, Microsoft, wir haben auch sehr viele Firmen aus Japan, China, die z.B. in Frankfurt ansässig sind. Wir haben sehr viele gute Entwicklungsstudios wie Deck 13, Keen Games oder Crytek als eine der größten deutschen Gamingfirmen. Hessen hat super viel Potenzial, gerade mit der Hochschule Darmstadt, die den Nachwuchs ausbildet. Wir sind immerhin Deutschlands größter Studiengang im Bereich Games – mit über 450 Studierenden. Die Firmen haben das erkannt und kommen regelmäßig zu uns an den Campus, um Vorträge zu halten und die Studenten anzuwerben.

Es gibt hier einen riesengroßen Schatz zu heben in der Spieleindustrie in Hessen, denn vielen ist auch noch nicht bewusst, dass Spiele aktuell das definierende Medium für Kultur und Kunst sind. Wenn man sich die Mediennutzung ansieht, generieren Spiele allein mehr Umsatz als Streaming, Kino, TV und Radio zusammen. Wir haben mit Videospielen das entscheidende Medium der Zukunft.