Feels like Hessen

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Lennardt Loß: Und andere Formen menschlichen Versagens

Lennardt Loß ist Autor. Sein Debütroman „Und andere Formen menschlichen Versagens“ ist im Frühjahr 2019 erschienen. Der junge Schriftsteller war Stipendiat des Hessischen Literaturrats in Prag, zwei Mal Preisträger des Jungen Literaturforums Hessen-Thüringen und Stipendiat der Roger Willemsen-Stiftung in Hamburg. Er lebt in Frankfurt am Main, gerade befindet er sich aber Mitten im Nirgendwo in der Nähe von Gorleben zum Schreiben, ohne Reize von außerhalb. Eine häusliche Quarantäne ist aktuell kaum von seinem Alltag als Schriftsteller zu unterscheiden. Feels like Hessen hat mit ihm telefoniert und ein Gespräch über Hessen, Quarantäne, das Schreiben, Neid, Hoffnung und wie alles zusammenhängt geführt. 

Foto © Nektarios Dallas

Feels like Hessen: Lennardt, du bist sehr zufällig, sehr pragmatisch in Frankfurt am Main gelandet, um Theater-, Film- und Medienwissenschaft zu studieren. Ist die Stadt für dich ein Zwischenstopp oder wurde sie zu deiner Wahlheimat? 

Lennardt Loß: Es ist nicht einfach ein Zwischenstopp. Ich fühle und fühlte mich in Frankfurt einfach sau wohl. Zum einen finde ich, dass es die fotogenste Stadt Deutschlands ist, weil sie einfach architektonisch wunderschön ist: Es gibt die Gründerzeitvillen im Bahnhofsviertel, dann diese hässlichen Glas- und Stahlskyline-Wolkenkratzer aber dann, wenn du in die Außenbereiche fährst, beispielsweise nach Heddernheim, dann hast du auf einmal das Gefühl, du bist in den 1960er/70er Jahren der Bonner Republik. Alles ist ein bisschen miefig, aber irgendwie auch ganz interessant. Und dann gibt es in Frankfurt natürlich die Frankfurter Schule in Praunheim oder mein heiß geliebtes Nordwestzentrum, das aussieht wie eine Mischung aus einem stalinistischen Raumschiff Enterprise und Kernkraftwerk Kahl – das liebe ich sehr. 

© Viet Duc Le

Wie wurde dein Leben durch die hessische Metropole geprägt?

Sehr stark, ich habe Frankfurt viel zu verdanken, hier hat meine Laufbahn als Autor so richtig Fahrt aufgenommen. Das war der Ort, an dem ich meinen ersten großen Preis gewonnen habe, hier habe ich meinen Lektor und meine Verleger kennengelernt, Rainer Weiss und Anya Schutzbach, das war der Ort, an dem ich meinen ersten Buchvertrag unterschrieben habe. Ich bin Frankfurt auf ewig verbunden. 

Ging es dir bei deinem Studium der Filmwissenschaft schon um das Schreiben? 

Mein Kanon an Fiktion ist eher filmisch als literarisch. Bevor ich angefangen habe, ernsthaft zu lesen, habe ich Filme wie Rambo geguckt und verschiedene Serien, wie Alf oder die ganzen HBO-Serien. Dadurch hatte ich immer einen sehr filmischen Blick auf die Stoffe. Ich versuche, etwas wie eine filmische Sprache in meinen Texten umzusetzen, und wenig Gedankenrede zu verwenden. Die Figuren sollen mehr durch ihr Handeln als durch ihr Denken charakterisiert werden. Der Charakter eines Menschen zeigt sich weniger durch das, was er denkt, denn oft denken wir besser oder schlechter von uns, vielmehr manifestiert sich ein Charakter in der Handlung. Das ist immer stärker und vor allem wahrer. Drehbuchschreiben wollte ich zum Beispiel nie.

Zu deinem Roman: Darin geht es viel um Einsamkeit. In der aktuellen Lage, dem empfohlenen Physical Distancing aufgrund von COVID-19 ist das ein Thema, das viele Menschen beschäftigt. Dein Roman spielt an mehreren einsamen Orten, es geht darum, dass Menschen sich nicht sehen können und damit einen Umgang finden müssen. In wie weit ist die damit verbundene Emotion ähnlich zu einer Quarantänesituation? 

Klar, indirekt gibt es da viele Überschneidungen. Das Buch ist sozusagen eine Anti-Robinsonade – durch meine filmische Prägung war ich auch immer schon ein Freund des Genre-Kinos. Es gibt den Film mit Tom Hanks – „Cast Away – Verschollen“. Das war für mich insofern prägend, als dass ich schon immer eine Robinsonade einer unfreiwilligen Isolation schreiben wollte. Daher habe ich angefangen, diese Figur, Marina Palm heißt sie, und deren Alltag auf der Insel zu beschreiben. Dabei ist mir sehr schnell aufgefallen, dass dieses Genre dermaßen durcherzählt ist und man nur noch das Klischee eines Klischees bedienen kann. Ich glaube das Genre der Robinsonade ist kulturell sehr fest in unserem Gedächtnis verankert. Jede und jeder Achtjährige hat eine feste Vorstellung davon, was man auf einer einsamen Insel so macht: Man baut ein Floß, macht ein Feuer, fängt Fische, baut sich vielleicht eine kleine Lehmhütte, schlägt Kokosnüsse auf, trinkt die Kokosmilch und so weiter. Daher dachte ich mir, dass man das Feste und Starre dieses Genre auch zum Positiven wenden kann und diese Robinsonerfahrung, die Marina erlebt, einfach aussparen und die Geschichte um die große Leerstelle, um diese Erfahrung, die nicht erzählt wird, kreisen lässt. Man muss die Erfahrung nicht erzählen, weil jeder sie selbst füllen kann. Jede Robinsonade ist eine Quarantänesituation und daher ist die Geschichte hochaktuell. 

“Ich glaube das Genre der Robinsonade ist kulturell sehr fest in unserem Gedächtnis verankert. (…) Jede Robinsonade ist eine Quarantänesituation und daher ist die Geschichte hochaktuell.”

Würdest du sagen, dass dieses Buch für Menschen in Quarantäne unterstützend sein kann, um Emotionen zu sortieren und um mit der aktuellen Situation klar zu kommen? Hilft dieses Buch gegen die Machtlosigkeit der Einsamkeit? 

Auf den ersten Blick würde ich die Frage mit einem Nein beantworten. Uns interessieren eigentlich keine Gewinnergeschichten. Wir wollen nicht die Yotta-Bibel verfilmt sehen, wo alles glänzend verläuft. Interessant wird ein Film oder Literatur erst dadurch, wenn jemand etwas gewinnt, es ihm wieder weggenommen wird, oder er es nicht ganz behalten kann – wie in „Scarface“. Der Film ist nur deshalb so bekannt, weil wir sehen, dass die Katastrophe am Anfang schon angelegt ist. Dass irgendwann aus Ehrgeiz Geiz wird, aus Zuneigung Stalking – das ist der Lustgewinn, Fiktion muss diesen eingeschriebenen Moment des Versagens immer haben. Aber ich glaube, gerade weil wir gerne das lesen, was wir nicht gerne erleben, kann es schon erbaulich sein. 

In den letzten Wochen war in den sozialen Netzwerken immer wieder zu lesen, dass Hobbyschriftsteller die Quarantänezeit nutzen wollen, um ihr erstes Buch fertigzustellen. Wie ist das bei dir: Wie ist das Verhältnis zwischen physischem Kontakt mit Menschen und dem tatsächlichen Schreiben? 

Ich brauche eine Interaktion mit Menschen, um zu schreiben. Ich finde autobiografische Literaturinstitutsliteratur recht öde, ich arbeite mich lieber in Welten ein, die ich nicht kenne. Recherche, vor allem kalte Recherche, steht ganz am Anfang. Ich beginne damit, Sachtexte zu lesen, mir Dokumentationen anzuschauen und dann versuche ich, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die sich in der Welt bewegen, die ich recherchieren will. Mit ihnen zu sprechen, ist sehr interessant, die Gefahr beim Schreiben ist immer das ganze neue Wissen angeberisch in den Text einfließen zu lassen. Am Ende sind es eher fünf Prozent des Recherchierten, die dann wirklich in das Buch einfließen. Man darf nicht mit Fachwissen protzen und muss versuchen, sich zurückzunehmen und sich wieder auf die Figuren zu konzentrieren und ihre Emotionen, die letztlich ja auch immer gleich sind: Liebe, Wut, Hass, Freude, Hoffnung – das ist in jeder Figur angelegt und die Außenwelt muss dann zurückgefahren werden. Die Kulisse darf nicht stärker sein, als die Figur. Die Recherche macht immer etwas mehr Spaß, weil mir es auch mehr Spaß macht etwas Neues zu lernen. Das Schreiben selbst ist immer sehr krampfhaft, ich schreibe langsam, beneide alle Vielschreiber. Ich brauche für jede Seite mindestens einen Tag. Aber Spaß macht die Recherche und Spaß macht es, wenn es fertig ist, vor allem wenn es nicht gleich fertig ist, sondern wenn man es mit Abstand betrachten kann. 

“Ich brauche eine Interaktion mit Menschen, um zu schreiben”

Warum hast du dir dann nicht einen anderen Beruf gesucht, wenn du lieber recherchierst und Fakten erzählst, als schreibst?
Ach, da bin ich wohl zu dumm für (lacht). Ich schreibe ja schon auch gerne und auch nach wie vor, zum Beispiel journalistisch. Es ist und bleibt aber Arbeit.

© Nektarios Dallas

Viele Rezensionen nehmen dein Buch eher als eine Art Unterhaltungslektüre wahr. Beim Lesen hatte ich jedoch den Eindruck, dass dein Roman eine gesellschaftskritische Lesart zumindest möglich macht. Würdest du dir diese Lesart wünschen?
In Deutschland wird Qualität oft mit einer Schwere und Langsamkeit der Erzählung verwechselt. Ich glaube, dass das Buch schneller, vielleicht amerikanischer erzählt, denn ich verzichte auf seitenlange Beschreibungen. Jedoch kann ein Roman, der vielleicht auf der Oberfläche leicht erzählt, trotzdem eine politische Message transportieren kann. Aber welche das ist, muss jede und jeder für sich selbst rauslesen. Aber es ist klar, dass manche Positionen durchkommen, wie dass ich Kreuzfahrtschiffe für ein Unding halte. 

Lieblingsorte von Lennardt Loß 

… für Kollegen: Ultrageheimtipp: Das Hermannstädter GrillHaus in Offenbach – irregeile Vorspeisenplatten.

… für Freunde: der Dortmunder Pilstreff in Frankfurt – allerschönste Wandtapete: Eine Pazifikinsel.

… für die Familie: für Fußlahme – eine Mainrundfahrt. 

… Geschäftspartner: Maxie Eisen im Bahnhofsviertel

… Besuch von Außerhalb: das Nordwestzentrum Frankfurt