Slow & Wild
Slow Food, Slow Beauty, Slow Fashion – mit steigendem Bewusstsein für Nachhaltigkeit wächst auch das Slow Movement. Modedesignerin Eva Wilde-Gräf konnte damit erst einmal nicht viel anfangen. Doch als sie sich die Definition von Slow Fashion einmal genauer anschaute, merkte sie, “das ist genau das, was ich mache.” Unter ihrem Label “wildes.” verkauft die Darmstädterin seit acht Jahren nachhaltige, handgemachte Strickbekleidung für Damen, die auf Qualität und Langlebigkeit, statt Saisonware setzt. Die modischen, hochwertigen Produkte (Preisspanne etwa 100 – 400€) stellt sie individuell auf Kundenwunsch her und hat sich damit ein kleines, stetig wachsendes Business aufgebaut, in das sie viel Zeit und Herzblut steckt.
Text: Janine Hertel
Foto: Jan Ehlers
Erst vor wenigen Wochen ist Wilde-Gräf in die Räumlichkeiten in der Jahnstraße gezogen. Vorher hat sie von zu Hause gearbeitet und ihre Mode online und in dem Darmstädter Geschäft SOULID verkauft. Noch fehlt es an einigem, doch jetzt schon kann man durch das Schaufenster die stylischen Oberteile begutachten. Während der Öffnungszeiten können neugierige Passanten und interessierte Kundschaft jederzeit vorbeikommen, um die Kollektion in Augenschein zu nehmen. Selbst wenn abgeschlossen ist, weil die Designerin in ihrem Studio arbeitet, sollte man sich nicht scheuen zu klingeln. Wilde-Gräf freut sich über jeden Spontanbesuch.
Direkt von der Stange kann man die von ihr designten und selbst hergestellten Teile nicht kaufen. Ganz am Anfang, als die gelernte Schneiderin mit “wildes.” anfing, war der Plan auf Lager zu produzieren, doch sie merkte schnell, das ist nicht der richtige Weg. Jetzt können die Kundinnen die Oberteile und Schals vor Ort oder online begutachten und in der gewünschten Farbe, Qualität und Größe bestellen. Ein paar Wochen dauert es dann schon einmal, bis die liebevoll handgemachten Kleidungsstücke fertig sind – der Begriff Slow Fashion ist also auch ganz wörtlich zu nehmen. Mit ihrer Strickmaschine kann Wilde-Gräf im Monat etwa sechs Oberteile und 6 Schals produzieren. Langfristig will sie gerne eine Aushilfe einstellen, die sie bei der Produktion unterstützt. Denn im letzten Winter kam sie bei der gesteigerten Nachfrage kaum hinterher mit dem Stricken. Doch im Moment muss sie die Fertigung, so wie alles andere, was ihr Business betrifft, alleine managen. Das ist nicht immer ganz einfach, gesteht die zweifache Mutter. Der Weg zum eigenen Label, so wie es heute existiert, war daher alles andere als geradlinig und oftmals steinig.
Direkt nach ihrer Schneiderausbildung an der staatlichen Modeschule Stuttgart hat Wilde-Gräf ein Praktikum bei Hugo Boss – dem Kooperationspartner der Schule – angefangen. Darüber erhielt sie eine Assistentenstelle, die sie vier wertvolle und lehrreiche Jahre ausübte. Danach ging es für zwei Jahre als Designerin zu Esprit, bevor es sie zurück in ihrer Heimatstadt Darmstadt zog, wo sie als Freelance Designerin tätig war. Mit der Geburt ihres ersten Kindes lag die Karriere dann allerdings erst einmal brach. Ganz ehrlich spricht sie darüber, wie unbefriedigend die Zeit zu Hause für sie war und dass sie irgendwann, um sich zu beschäftigen, mit Stricken anfing. Zunächst waren es nur Mützen für die eigenen Kinder. Fasziniert von den Farben und dem Material Wolle fand sie jedoch die Leidenschaft Mode herzustellen wieder und begann die Mützen erst im Kindergarten ihrer Kinder zu verkaufen, später auch bei Dawanda und einem Geschäft in Darmstadt. Es kamen Kissen und Decken für Kinder hinzu, versehen mit besonderen Motiven, die zu ihrem Markenzeichen wurden. Aus dem aus einem Bedürfnis nach einer Aufgabe entstandenen Projekt wuchs langsam ein professionelles Business. Doch für einen “ernsthaften” Ansatz wollte Wilde-Gräf weg von den Kindersachen und stattdessen etwas für sich und andere Frauen machen. Sie überlegte, wie bspw. ein Strickpulli ansprechend und modisch aussehen kann. Dass Stricken und Strickmode bei vielen ein etwas verstaubtes Image hat, ist Wilde-Gräf durchaus bewusst. Deshalb war es ihr wichtig, Styles zu entwickeln, die ins Auge springen und nachhaltig faszinieren. Und das gelingt ihr absolut treffsicher. Die Farben und Designs, die sie anbietet, richten sich zum einen nach aktuellen Trends, aber auch nach ihrem eigenen Geschmack, der, wie sie selbst sagt, meistens den Nerv der Zeit zu treffen scheint. Und das Feedback ist durchweg positiv. Nur einmal wurde eine Mütze zurückgeschickt. Die Begründung: “Sie steht meinem Sohn nicht.” Nun ja. Die anderen Reaktionen auf ihre Mode bestärken Wilde-Gräf. Wenn Zweifel aufkommen und die Arbeit alleine zu mühsam erscheint, dann sind es oft die aufbauenden Worte von KundInnen und FreundInnen, die sie zum Weitermachen motivieren. Vor allem die Wertschätzung, die ihren Teilen entgegengebracht wird, freut sie. Wenn sie 10 Stunden Arbeitszeit in einen Pullover steckt und die KundInnen am Ende sagen, die 200€ zahlen sie gerne für diese Art von Qualität und Handarbeit, fühlt sie sich mehr als bestätigt.
Eva Wilde-Gräf wünscht sich in Zukunft weiter zu wachsen, vielleicht irgendwann nicht mehr alleine zu arbeiten und ihre Mode auch in Läden in Wiesbaden oder Frankfurt zu platzieren. Sie ist mit ihren Träumen jedoch bescheiden und realistisch: “Ich muss in kleinen Schritten gehen.” Ein langsames Wachstum muss aber ja nichts schlechtes sein.Im Gegenteil: Slow Growth auf allen Ebenen eben.