Maple Tales for Lesemuffel
In einer Zeit, in der die Lesegewohnheiten von Kindern kontinuierlich abnehmen, setzt das hessische Startup Maple Tales mit seiner innovativen Lese-App einen starken Kontrapunkt. Wir haben mit Marlene Damm und Timur Zorlu, den beiden Gründern von Maple Tales, gesprochen und spannende Einblicke in ihre Mission erhalten: Kindern die Freude am Lesen durch spielerische, interaktive Geschichten zurückzugeben. Für ihr innovatives Konzept wurde Maple Tales zuletzt von der Bundesregierung als Kreativpilot ausgezeichnet. Erfahre mehr über die Entstehungsgeschichte von Maple Tales und wie man sogar "Schreibmuffeln" mit spannenden Geschichten eine neue Welt eröffnen kann.
Text und Fotos: Lucas Muth
Datum: 02.05.2024
"Wenn das Kind direkt angesprochen wird, bleibt mehr Textverständnis hängen. Daher sind unsere Geschichten so gestaltet, dass jedes Kind sich wiederfinden kann, sowohl namentlich als auch visuell."
– Maple Tales-Gründerin Marlene Damm über die Hintergründe der Personalisierung ihrer Geschichten.
Was war die Idee hinter Maple Tales?
Timur: Wir haben festgestellt, dass Kinder immer weniger lesen und fragten uns, wie wir das Lesen verbessern könnten. Bei der Recherche wurden wir auf entscheidungsbasierte Geschichten aufmerksam. Diese bieten viele Möglichkeiten, darunter personalisierte Geschichten, Lesehilfen und Belohnungen. Wir begannen, unsere eigenen Geschichten zu schreiben und beschlossen, die gesammelten Daten anonymisiert an Lehrkräfte und Eltern weiterzugeben. So entstand das Konzept von Maple Tales.
Was sind entscheidungsbasierte Geschichten?
Marlene: Unsere Geschichten sind wie Entscheidungsbäume aufgebaut. Alle 3 bis 5 Minuten kann das Kind entscheiden, wie die Geschichte weitergeht und so kann es den Verlauf beeinflussen. Es ist vergleichbar mit den Choose-Your-Own-Adventure-Büchern aus den 70er Jahren.
Könnt ihr das generelle Konzept eurer App Maple Tales erklären?
Marlene: Unsere App konzentriert sich auf Leseförderung und die Förderung der Lesemotivation. Es geht nicht darum, das Lesenlernen zu unterstützen, sondern Kinder mit einer gewissen Grundbasis zu erreichen. Darüber hinaus ist der persönliche Faktor wichtig: wenn das Kind direkt angesprochen wird, bleibt mehr Textverständnis hängen. Daher sind unsere Geschichten so gestaltet, dass jedes Kind sich wiederfinden kann, sowohl namentlich als auch visuell.
Wir haben verschiedene Lesehilfen wie farbliche Silbentrennung, was besonders für Leseeinsteiger oder Kinder mit Leseschwierigkeiten förderlich ist. Zusätzlich gibt es eine Wörterbuchfunktion und Textverständnisfragen am Ende der Geschichten. Diese Features unterstützen das Kind spielerisch im Leseprozess.
Ihr habt Avatare erwähnt. Welche Rolle spielen die Illustrationen in der App?
Marlene: Ja, die Geschichten sind bebildert. Studien zeigen, dass Kinder Texte besser verinnerlichen, wenn sie visuell unterstützt werden. In unserer App nimmt das Bild einen Drittel des Bildschirms ein. Eine talentierte Illustratorin arbeitet mit uns zusammen, um diese Bilder zu erschaffen. Das Kind kann sich seinen eigenen Avatar erstellen und findet sich so in der Geschichte wieder. Dies hilft uns, „Lesemuffel“ zu motivieren und an die Geschichten heranzuführen.
Was ist euer fachlicher Hintergrund? Haben eure eigenen Erfahrungen beim Lesenlernen eine Rolle gespielt?
Marlene: Ich habe Erziehungswissenschaften und Europäische Ethnologie studiert und komme aus der Kinder- und Medienstadt Erfurt, wo ich beim Kinderkanal gearbeitet habe. Die Themen Medien für Kinder und Bildungskonzepte waren mir also vertraut. Bei meiner Arbeit in einem größeren Bildungsinstitut stellte sich die Frage, wie wir das Lernen zu Hause gestalten und den Kindern und Eltern eine sinnvolle und spaßige Leseerfahrung bieten können.
Timur: Ich habe Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkten auf Marketing und International Management studiert. Während des Studiums habe ich durch die Marketinginitiative MTP zwei Start-ups gegründet und Events organisiert. Später arbeitete ich für das Gründungszentrum in Gießen sowie für einen Investor in Berlin.
Noch einmal zu eurem Team: Wie ist die Arbeitsteilung? Wer ist noch beteiligt?
Timur: Wir teilen uns die Aufgaben in zwei Bereiche auf: den technischen Bereich und den Verlagsbereich. Im technischen Bereich bin ich als Produktmanager und CEO tätig und arbeite mit Ali, einem Vollzeitentwickler, der sich um die Grundapp kümmert, und Husnain der sich als Werksstudent um die Featureentwicklung und die Datenpunkte kümmert.
Marlene: Im Verlagsbereich arbeiten wir mit einem Online-Verlag und einem pädagogischen Team zusammen. Wir haben zwei Pädagoginnen, zwei Lehrerinnen (Müjde und Anna) und eine Praktikantin aus dem Verlagswesen. Außerdem arbeiten viele Autorinnen an unseren Geschichten, sowie ein Lektoratsteam, Korrektorat und eine Legasthenie-Expertin, die eng mit uns zusammenarbeitet und Textanalysen durchführt.
Timur: Zusätzlich helfen uns Designer und Illustratoren, insbesondere unsere Designerin, die uns viel Arbeit im Bereich Grafik- und Storydesign abnimmt.
Wie kann man sich den Prozess von der Idee bis zur fertigen Geschichte in der App vorstellen?
Marlene: Das ist eine spannende Frage. Wir haben hinter den Geschichten einen mehrstufigen Qualitätsprozess. Wenn jemand Interesse hat, Geschichten zu schreiben oder sich an interaktiven Kindergeschichten versuchen möchte, kann er oder sie sich über unsere Webseite für einen Autor*innen-Workshop anmelden. Nach dem Workshop, der etwa eine Stunde dauert, können Ideen oder Pläne eingereicht werden. Wir prüfen die Vorschläge und geben Feedback. Bei Bedarf begleiten wir neue Autor*innen beim Schreibprozess und unterstützen sie bei Fragen. Wenn die Geschichte fertig ist, durchläuft sie unseren Qualitätsprozess: Lektorat, Text- und Klassenanalyse, Korrektorat und gegebenenfalls Sensitivity Reading. Abschließend geht die Geschichte ins Design und in die Kodierung.
Wie steht ihr zur Debatte um digitales und analoges Lesen? Welche Möglichkeiten seht ihr im digitalen Lesen, insbesondere im Zusammenhang mit eurer App?
Timur: Der Vorteil der App ist, dass viele Geschichten auf einem Gerät verfügbar sind. Funktionen wie die Anpassbarkeit der Schriftart, die Nutzung der Open Dyslexic-Schriftart und, die Silbentrennung, die Text-to-Speech-Funktionen und die Wörterbuchfunktionen in verschiedenen Sprachen sind in einem Buch nicht möglich.
Marlene: Wir glauben, dass die Debatte um digitales und analoges Lesen differenziert betrachtet werden sollte. Ein sinnvoller Einsatz der verfügbaren Möglichkeiten ist wichtig. Wir möchten Kinder ansprechen, die weniger Bezug zum regelmäßigen Lesen haben, und sie spielerisch zum Lesen motivieren. Digitale Medien können eine Chance bieten, Kinder dort abzuholen, wo sie stehen, und ihnen sinnvolle Inhalte zu bieten. Unsere App ermöglicht Kindern das spielerische Lesen und kann so ihr Interesse am Lesen wecken. Unser Ziel ist es, Kinder durch die App zum Lesen zu motivieren und sie schließlich dazu zu bringen, auch gedruckte Bücher zu lesen. Wir betonen die Bedeutung von differenzierter Leseförderung und den regelmäßigen Austausch zwischen Eltern und Kindern durch Vorlesen und eine Vorbildfunktion. Wir betonen die Bedeutung von differenzierter Leseförderung und den regelmäßigen Austausch zwischen Eltern und Kindern durch Vorlesen und eine Vorbildfunktion.
Wie sorgt ihr für ausreichenden Datenschutz in eurer App?
Timur: Die Daten sind alle anonymisiert und nicht persönliche Daten. Bedeutet, wir bekommen die Lesedaten natürlich mit, damit wir damit unser Modell weiter ausbauen können. Aber wer das gelesen hat und wie die Person heißt, das wissen wir nicht. Wir wissen lediglich das Alter, weil es wichtig für unsere Analysen und die Weiterentwicklung der App ist.
"Wir sind begeistert, dass Bildung und Kreativwirtschaft so gut zusammenpassen. Bildung sollte kreativer gestaltet werden, um Kinder anzusprechen."
– Das Team von Maple Tales über die Rolle der Kreativwirtschaft in der Bildung.
Welche Rolle spielt die Gamification in eurem Konzept?
Timur: Historisch gesehen waren die ersten Spiele textbasiert und so ist Maple Tales als „gamifiziertes Lesen“ entstanden. Durch Personalisierung und das Einbauen von Leseverständnisfragen wird das Spielerlebnis vertieft. Belohnungssysteme wie Abzeichen und Levelaufstiege motivieren die Spieler, zum Beispiel zehn Geschichten über den Winter zu lesen oder verschiedene Berufe kennenzulernen. Spieler können ihre Erfolge auch mit Freunden teilen. Der Games-Aspekt wird nun weiter ausgebaut, aber das Grundgerüst steht dafür bereits.
Wie ist das Feedback, das ihr von Erzieher:innen, von Eltern oder auch von den Kindern direkt bekommt?
Marlene: Wir erhalten regelmäßig Feedback und holen es auch aktiv ein. Pädagog*innen und Eltern loben die App für ihre Handhabung und Innovation, und wir sind dankbar für konstruktives Feedback zum Aufbau. Besonders motiviert uns das positive Feedback der Kinder, einschließlich älterer Kinder, die die App "mega cool" finden. Eltern von Kindern mit Leseschwächen schätzen, dass die App spielerisch unterstützt und den Spaß am Lesen fördert. Solche Rückmeldungen bestärken uns darin, weiterzumachen.
Ihr wurdet von der Bundesregierung gerade als eines von nur drei hessischen Startups als Kreativpilot:innen ausgezeichnet,. Was bedeutet das für euch? Und was erwartet ihr für die Zukunft?
Marlene: Wir sind begeistert, dass Bildung und Kreativwirtschaft so gut zusammenpassen. Bildung sollte kreativer gestaltet werden, um Kinder anzusprechen. Die Auszeichnung stärkt unser Netzwerk und ermöglicht den Austausch mit anderen Unternehmerinnen aus der Kreativwirtschaft.
Welche Ziele habt ihr mit Maple Tales?
Timur: Das Unternehmen bietet eine App für Kinder auf dem Markt sowie ein Produkt für Schulen, das ab dem nächsten Schuljahr verfügbar ist. Das Schulprodukt bleibt zunächst deutschsprachig, jedoch ist die App im App Store international ausgerichtet.
Das Ziel des Unternehmens ist es, nach dem Erfolg in Westeuropa, Benelux und dem Vereinigten Königreich auch den Markt in Nordamerika zu erobern, insbesondere Kanada und die USA. Dabei ist es dem Unternehmen wichtig, den sozialen Aspekt zu berücksichtigen und das Produkt nicht nur an wohlhabende Familien zu verkaufen, sondern es auch Familien zugänglich zu machen, die es sich sonst nicht leisten könnten.
Welche Vorteile seht ihr als Kreativ-Start-Up im Standort Hessen?
Timur: Frankfurt ist nicht nur für seine Finanz- und Bankenbranche bekannt, sondern auch für die Buchmesse und die starke Kreativ- und Verlagswirtschaft. Da ich in Hessen studiert habe und aus dem Rhein-Main-Gebiet stamme, war die Wahl naheliegend. Als es um den Unternehmensstandort ging, standen auch Erfurt und Leipzig zur Debatte, aber wir entschieden uns für Frankfurt, aufgrund unseres großen Netzwerks und der guten Infrastruktur.
Marlene: Ohne die Förderlandschaft in Hessen hätte ich nicht den Schritt aus meinem sicheren Vollzeitjob gewagt. Die vielfältigen Förderangebote in Hessen sind ein großer Pluspunkt, sie stärken die Ideenvielfalt und bieten den Nährboden für Wachstum und Weiterentwicklung.